Text: Wie ich mal dem Nichts begegnete

Wie ich mal dem Nichts begegnete

Wenn das Nichts an Bedeutung gewinnt, verliert alles seine Bedeutung. Wenn das Nichts alles bedeutet, ist nichts mehr von Bedeutung.

Das Nichts ist eine große schwarze Katze oder ein Wesen, das einer großen schwarzen Katze ähnelt. So genau kann und will ich mich da nicht festlegen. Denn als ich dem Nichts begegnete, regnete und stürmte es, wie ich Regen und Sturm zuvor noch nie erlebt hatte.
Dabei war ich gar nicht auf der Suche nach dem Nichts, auch wirkte das Nichts nicht so, als hätte es mich erwartet. Es wandte mir den Rücken zu, wie es da über mir hockte auf der Kuppe des Hangs, wie es das verwaschene Licht verschluckte und es um des Teufels Willen nicht reflektieren wollte. Dabei war das Nichts weder Teufel noch Gott noch Sohn noch Heiliger Geist noch ein Teil der Schöpfung. Das Nichts war nicht einmal. Denn wie konnte nichts sein? Weder Tod noch Leben. Das Nichts war nicht und nichts. Und hatte die Form einer schwarzen Katze, die mir auf der Kuppe da über mir den Rücken zuwandte und auf meine Rufe nicht reagierte.
„Nichts!“
„Bist Du das Nichts?“
„Ich weiß, dass Du das Nichts bist!“
Mir fiel es schwer, meinen Stand zu bewahren. Ich wankte. Der Sturm zog in gewissenhafter Stetigkeit vom Meer den Hang hinauf und zerrte an mir wie ein Hund an der Leine auf der Jagd nach einer Katze. Selbstverständlich einer Katze, die eine Katze war und nicht nur ihre Form angenommen hatte und eigentlich das Nichts war, das ja genau genommen gar nicht war, weil es nicht sein konnte.
Hatte mir der Wind zuvor noch weiche Regentropfen angetragen, die fast schon entschuldigend sanft an meiner Gesichtshaut klopften, peitschte und schleuderte der Sturm nun Kaskaden winziger geschärfter Messerspitzen wider mich. Der Ton des Windes hatte sich verschärft und war angeschwollen just in dem Moment, als ich das Nichts als das, was es war oder eben nicht war, weil es ja nicht sein konnte, ausmachte.
Die schwarze Gestalt einer Katze oder das, was ich dort oben über mir als Gestalt einer Katze ausgemacht hatte und von der ich wusste, dass sie das Nichts war oder eben nicht war, weil ich es einfach spürte – eben diese schwarze Gestalt rührte sich indes nicht. Ob sie den Sturm und den Messerspitzenregen einfach so schluckte wie Schwarze Löcher Materie schluckten (und soweit ich es verstanden hatte, waren Schwarze Löcher nichts anderes als Nichts), konnte ich nicht ausmachen. Es interessierte mich auch gar nicht.
Unwillkürlich wurde ich von der Angst ergriffen, das Nichts verärgern zu können oder bereits verärgert zu haben. Was bei weiteren Überlegungen im Nachhinein natürlich als absurder Gedankengang abgetan hätte werden können. Nur war ich in dem Moment nicht so bei mir, wie ich es gewesen wäre, wäre ich nicht von sturmgepeitschten nassen Messern attackiert worden, während ich meinen Stand gegen die hektisch auf mich zueilenden Luftmassen tapfer verteidigen musste. Darüberhinaus ist es kein alltägliches Geschäft, dem Nichts unerwartet zu begegnen, das, ohne dass ich auf die Idee kam, diese Tatsache zu hinterfragen, zu allem Überdruss noch die Form einer sturen schwarzen Katze angenommen hatte, die über mir thronte. Oder kauerte. Majestätisch kauerte. Und nicht auf meine Ansprache reagierte.
So die Angst, das Nichts verärgern zu können oder bereits verärgert zu haben, von mir Besitz ergriff, beeilte ich mich, dem Nichts gebührende Huldigung zukommen zu lassen.
„Nichts, ich will und wollte Dich nicht stören! Ganz und gar nicht. Ich wusste ja nicht einmal, dass ich Dir heute und hier begegnen würde.“
Meine Gedanken drifteten weiter in die Absurdität, und später würde ich den ungewohnten Sturm und den ungewohnten Regen und die ungewöhnliche Begegnung mit dem Nichts in der Form einer großen schwarzen Katze mit der Verantwortung für eben diese gedankliche Absurdität betrauen.
Ich kam tatsächlich auf den Gedanken oder der Gedanke kam zu mir, dass das Nichts vielleicht einsam sein könnte. Scheu. Schüchtern. Ängstlich. Und vielleicht war ich – zwar weder von Teufel noch Gott noch Sohn noch Heiligem Geist gesandt – zu dieser Zeit an dieser Stelle, gepeitscht von Regen und Sturm, um dem Nichts gut zuzureden.
Und so redete ich dem Nichts gut zu.
„Du bist von Bedeutung, Nichts!“
„Denn nichts ist von Bedeutung!“
„Alles ist bedeutungslos, nur Du nicht, denn Du bist das Nichts, und nichts ist von Bedeutung.“
Natürlich regte sich das Nichts nicht. Natürlich reagierte das Nichts nicht. Und ich begriff, dass das Nichts sich nicht regen, nicht reagieren musste, denn das Nichts musste gar nichts. Das war vielleicht auch der einzige Luxus, der einem zukam, wenn man das Nichts war oder eben nicht war: Nichts zu müssen.
Und ich war gar nicht mehr verwundert und schritt auf dem Pfad voran. Einem uralten Pfad, den die einstigen Bewohner dieser Insel im Atlantik, Achill Island an der irischen Westküste, einst dazu nutzten, ihre Toten von der Küste über diesen Hügelpass auf den Friedhof im Inselinneren zu schleppen. Als ich die Spitze des Passes erreichte, war ich von urururalten Steinformationen umgeben, die wiederum jeweils einen stehenden Stein halbkreisförmig umgaben. Grabmale aus einem früheren Zeitalter. Hier wurden verblichene Menschen herge- und verbracht, um dem Nichts nah sein zu können oder sich gar mit ihm zu vereinen. Ich wandte mich noch einmal um und blickte auf die katzenartige schwarze Steinformation oder welche irdische stoffliche Manifestation auch immer das Nichts für mich und jene Menschen aus grauer Vorzeit angenommen haben mochte. Ich winkte dem Nichts zu.

Ich murmelte vor mich hin.
„Das Nichts hat Bedeutung, denn nichts hat Bedeutung.“
Und dieser Gedanke beruhigte mich ungemein, er beschwingte mich gar, als ich feststellte, dass das Wasser aus dem Himmel, das der Wind, bevor es den Grund erreichte, vom Meer her den Hügel hochtrieb, um mich zu durchnässen, längst die stoffliche Barriere meiner Wanderhose überwunden hatte und nun meine Beine hinunterlief, um sich in meinen wasserdichten, nun frech schmatzenden Wanderstiefeln zu sammeln.
Aber das machte nichts.

Es könnte schlimmer sein.